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Sonntag, 22. Juni 2014
Eine Kandidaturrede ohne Kandidat
tinilou, 23:46h
(Gastbeitrag von tinilou)
Diese Partei ist entzweit wie nie und ich hoffe, dass es kein inhaltlicher Streit ist, denn wenn das unser Umgang mit dem politischen Gegner wäre, würde ich die Piratenpartei in keinem weiteren Parlament wissen wollen.
Es ist von Flügeln die Rede, doch nicht einmal um den Streitgegenstand herrscht Einigkeit.
Fragt man die eine Seite, heißt es; die Methoden der Linksradikalen seien das Problem. Doch hört man sich dort um, wird man merken, dass nur ein sehr kleiner Anteil tatsächlich Gewalt als ein Mittel seiner Politik sieht.
Fragt man die andere Seite heißt es, die 2009er Liberalen seien nur auf Netzpolitik fixiert und missachteten die Bedeutung der sozialen Themen. Fragt man diese jedoch, ist es auch dort wiederum nur ein sehr kleiner Teil, der sich von BGE, Feminimus und asylpolitischem Programm wirklich distanziert.
Dieser Streit beruht wie die meisten auf einem Missverständnis und Vorurteilen über den vermeintlichen Gegner.
Alle unsere Themen haben eine Berechtigung, solange Menschen Programmpunkte dafür schreiben und diese eine Mehrheit beim Parteitag erzielen.
Netzpolitik ist eine unserer Stärken, aber es gab auch keine Mehrheit die uns als 'Ein-Themen-Partei' gewählt hätte.
Der Gesellschaftsentwurf, den wir im Netz gefunden haben, ist größer, so groß wie unser Programmspektrum und hoffentlich noch darüber hinaus. Denn wir sind noch lange nicht fertig damit, unser Bild einer Gesellschaft in Programm zu zeichnen.
Wenn ich nun hoffe, dass die Differenz keine inhaltliche ist, und sich im Gespräch mit den verschiedenen Lagern nicht einmal eine Streitlinie ergibt, an der man einen Konsens verhandeln könnte; Bleibt nur eine Ebene – die menschlich emotionale.
Es geht um verletzte Gefühle und den Umgang miteinander. Und in diesem Punkt kann ich keine der beiden Seiten, noch meine Freunde oder auch mich freisprechen.
Diesen Fehler haben wir alle gemacht, über alle erdenklichen Medien und Wege.
Was machen wir nun mit dieser Situation? Wir haben einander verletzt, teilweise bis zu einem Grad, dass von 'unverzeihlichen' Fehlern die Rede ist, oder es sich so anfühlt, auch wenn wir es so nicht artikulieren.
Eine Sache fällt vermutlich schwer zu verstehen, wenn jetzt jeder mal an den denkt, der ihn am meisten gekränkt hat; im Generellen ist nicht davon auszugehen, dass ein Mensch bösartig geboren wurde.
Gerade wir – als Partei mit dem positiven Menschenbild - sollten das nicht zu einer Grundannahme machen, anhand der wir urteilen.
Der Grund, warum Menschen andere verletzen, hat in den allermeisten Fällen etwas mit persönlicher Not und Verzweiflung zu tun. Dem Gefühl, keinen anderen Weg als diesen zu haben, um sein Gesicht zu wahren.
Ihr alle habt euch in diesem Sinn schuldig gemacht und seid auf der anderen Seite zu Opfern geworden - und wir werden keinen Weg zurück zu einer gemeinsamen Kommunikation und damit auch gemeinsamer politischen Arbeit finden, wenn wir nicht verstehen, dass das nicht unsere Feinde sind, die da umher laufen und uns wehtun, sondern auch Menschen in einer Not. Wir müssen lernen zu verzeihen, was gewesen ist, um weiter zu kommen.
Die unverzeihlichen Fehler, von denen die Rede ist, sind eine Rechtfertigung sich zurückzuziehen und zurück zu beißen.
Jeder hat das Recht, sich zu schützen, aber es sind immer wieder andere Personen, die so aus dem Kommunikationsraster fallen. Für mich ist ein Angriff kein Grund, Auge um Auge heimzuzahlen.
Der einzige Weg daraus kann es sein, hinter die Fassade nach der Not zu schauen, die dieses Verhalten hervorbringt und bei dieser Hilfe und alternatives Verhalten anzubieten.
Bei manchen ist von härteren Konsequenzen die Rede, von Ordnungsmaßnahmen für Fehltritte. Ziehen wir das durch, wüsste ich nicht wen ich noch wählen sollte oder wer die Ordnungsmaßnahmen verhängen düfte. Das Problem sind nicht nur die einzelnen Idioten – das Problem sind wir alle.
Ich bin kein Freund von Strafen, abgesehen davon, dass die Optionen, die wir als Ordnungsmaßnahmen haben, weitestgehend niemandem weh tun oder in irgendetwas bremsen würden. Ohne dass sich an unserer Weise zu denken etwas ändert, wird keine Strafe eine Besserung bewirken können.
Unser Gegenüber können wir nicht ändern, alles, was uns bleibt, ist uns selbst zu ändern. Dafür ist es nötig, inne zu halten und uns selbst zu reflektieren. Wer dabei eine weiße Weste findet, ist nicht ehrlich zu sich.
Am Ende muss keiner der Flügel gewinnen - denn wir sind eine Partei, um vielfältige Meinungen abzubilden. Keiner der Flügel muss gehen, wenn wir akzeptieren, dass am Ende immer die Entscheidung einer Mehrheit über die Sache selbst steht.
Für mich ist unser ganzes Programm, wie es heute steht, wichtig.
Für mich ist Gewalt überwiegend(*) kein angemessenes Mittel für Politik.
Ich bin mir sicher, dass eine Mehrheit der Piraten wie ich denkt und nicht so, wie sie vom vermeintlichen Gegner im Flügelkampf dargestellt werden.
Dies ist eine Kandidaturrede ohne Kandidat, weil weder meine Gesundheit noch meine Kräfte ausreichen für eine Amtszeit als Bundesvorstand.
Aber vielleicht finden wir Kandidaten, die den Flügelstreit nicht weiter schüren wollen.
Vielleicht findet jeder Einzelne seinen Anteil an dem Problem und ist bereit an sich zu arbeiten.
* Nach einigen Hinweisen möchte ich ergänzen, dass die Eingrenzung für mich nur in sehr prekären Situationen, wie z.B. dem Widerstand in einem totalitären Staat, gilt.
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