Freitag, 25. Juli 2014
Progressive Leak meinerseits
hariolor, 21:14h
Ich hatte mich für eine Aufnahme in die progressive Plattform der Piratenpartei beworben. Ich hatte nicht wirklich damit gerechnet aufgenommen zu werden - und so kam es dann auch. Das ist völlig ok. Ich muss da nicht mitspielen und ich bin wegen der Ablehnung auch nicht traurig oder böse. Das ist nicht der Grund, das hier zu schreiben.
Im Grunde sehe ich die #pplattform tatsächlich als einen möglichen Schutzraum. Die Kommunikation innerhalb der Partei auf Twitter und MLs ist im letzten halben Jahr ziemlich weit eskaliert. Die Beziehungsebene, Emotionen, persönliche Befindlichkeiten spielten eine größere Rolle als das, was tatsächlich gesagt wurde. Eine extrem Linke oder auch ein als bürgerlich Verschriehener hätten wahrscheinlich "1 + 1 = 2" schreiben können und es wäre negativ ausgelegt worden. Beide Seiten schenken sich da nichts, auch wenn es vielleicht nur 5% der Leser sind, die stets reingrätschen und noch mal 5%, die aus dem Kontext gerissene Aussagen interpretieren. Die 140-Zeichen-Grenze auf Twitter lädt ja geradezu dazu ein.
Ein Raum, in dem man innerhalb der eigenen Gruppe störungsfrei kommunizieren kann, kann dabei - in meinen Augen - durchaus hilfreich sein. Meine Vorstellung war, dass sich eine politische Strömung in einem Raum trifft, um konstruktiv eigene Vorstellungen zu entwickeln, die sie anschließend in die Partei tragen kann. Dabei ist für mich völlig unerheblich, wer genau an der Formulierung dieser Positionen beteiligt ist. Diese Diskussion "Extremist" hin oder her sollte aufhören. Das war meine Hoffnung und meine Erwartung an die #pplattform.
Nachdem aber nun das Aufnahmepad der #pplattform [0] geleakt ist, fühlte ich mich gedrängt, dazu ein paar Gedanken zu äußern.
Zwei Gründe werden dort relativ häufig als Begründung für ein Veto genannt. Den einen fasse ich mal mit "schlechten Umgangsformen" zusammen. Das trifft Menschen, die sich online verbal-aggressiv geäußert haben oder schlicht nicht besonders teamfähig sind - zumindest scheint das aus den Veto-Begründungen hervorzugehen. Da ich diese Menschen nicht alle kenne, kann ich das nur in Einzelfällen beurteilen. Und da scheint es oft zutreffend, so ungern die Betroffenen das auch hören mögen. Ganz ehrlich: Wenn ich eine geschlossene Diskussionsplattform ins Leben riefe, dann würde ich auch versuchen, Menschen außen vor zu halten, von denen ich erwarte, dass sie meine Arbeit stören. Das hat einfach etwas damit zu tun, arbeitsfähig zu bleiben. Es ist eine geschlossene Gruppe, die sich durchaus aussuchen darf, mit wem sie zusammenarbeiten möchte und mit wem nicht. Man mag die Geschlossenheit an sich kritisieren (durchaus piratig). Aber aus Sicht der #pplattform gibt es meiner Meinung nach legitime Gründe, sich abzuschotten.
Dass dabei häufig persönliche Befindlichkeiten eine Rolle spielen, ist menschlich - in der gezeigten Form aber trotzdem äußerst unglücklich. Denn das ist genau der "Nasenfaktor", dieses "Ich kann sie/ihn nicht leiden, weil..." , das doch eigentlich gar keine Rolle spielen sollte. Dass der Aufnahmeprozess, so wie er gestaltet (und dann geleakt) wurde, das gefühlte und teilweise auch kommunizierte "Wir sind besser" ad absurdum führt, war für mich keine Überraschung. Ich kann nur hoffen, dass die #pplattform daraus ihre Lehren zieht und zumindest versucht, einen Aufnahmeprozess zu implementieren, der so weit als möglich objektiv ist.
Der zweite häufig genannte Grund ist allerdings interessanter. Es ist auch der, der mich zu diesem Blogpost bewegt: "XYZ ist nicht progressiv". Das reichte - wenn ich das geleakte Pad lese - oft als Begründung und wurde auch nicht weiter hinterfragt.
Da stellt sich mir zunächst einmal die Frage: Was ist progressiv?
Dazu sagt die Wikipedia:
"Progressivismus (engl. progress von lat. progressio, onis, f.: Fortschritt) bezeichnet eine politische Philosophie, die auf dem Gedanken des Fortschritts in den Bereichen Wissenschaft, Technologie, wirtschaftliche Entwicklung und Organisation aufgebaut ist. Den Ursprung nahm der Progressivismus in der Ära der Aufklärung, dass man durch Entwicklungen Fortschritt in den Bereichen der Zivilisation erreichen könne."[1].
Ok. Das nimmt Bezug auf das 18. Jahrhundert und dürfte somit nur sehr eingeschränkt relevant sein. Was also ist progressiv innerhalb der Piratenpartei?
Was ich - auch von progressiven Piraten - so höre: weite Teile unseres Parteiprogramms. Toll! Worum streiten wir uns eigentlich? Wenn man genauer nachfragt, hört man - je nachdem, wen man fragt - unterschiedlichste Definitionen.
Aufgrund meines Werdegangs (seit Anfang des Jahrtausends Mitglied des CCC und natürlich auch dadurch geprägt) waren mir die "Kernthemen" immer schon wichtig. In diesen Themen kenne ich mich auch einigermaßen gut aus und halte regelmäßig Vorträge - auch außerhalb der Piratenschaft. Möglicherweise gelte ich deswegen - so die Vetogründe - nicht als progressiv. Mmh. Schade. Ich dachte ja immer, ich sei einigermaßen fortschrittlich.
Ich habe mal versucht, das Label "progressiv" zu durchdenken und kam auf folgende Themen:
Antifaschismus:
Ich beteilige mich in Chemnitz an Naziblockaden. ich arbeite in der Orga von "Bündnis Nazifrei" mit. Wir (als KV) stellen dem Bündnis Piratenmaterial zur Verfügung. Wir (als
KV) beteiligen uns an Anti-Rassismus-Demos.
Feminismus:
Natürlich trete ich dafür ein, dass Frauen dieselben Rechte und Chancen haben wie Männer. Das Extremste, was man gegen mich sagen mag: Ich mag gegenderte Sprache nicht. Ich toleriere sie, aber ich verwende sie nicht selbst. Weil ich an ihre Wirksamkeit nicht glaube. Als selbst Schreibender.
Queer/Gender:
Ich war aktiv am CSD beteiligt. Der KV Chemnitz (mit mir als Vorsitzendem) hat gerade einen Raum seiner Geschäftsstelle an den LSVD abgetreten.
Online-Abstimmungen:
Ich war zwar nie besonders aktiv im LF, aber immerhin aktiv. Außerdem habe ich mir persönlich auf die Fahnen geschrieben, die SMV in Sachsen zumindest technisch lauffähig zu kriegen. Daran arbeite ich gerade.
Wenn das nicht ausreicht, mich als "progressiv" zu akzeptieren, dann halt nicht.
Ja, ich unterstütze Sekor. Er war die einzige für mich wählbare Person als 1V auf dem aBPT. Dazu stehe ich. Ich habe das auch begründet und mit Einzelnen hitzige Diskussionen darüber geführt. Wenn das das Ausschlusskriterium ist: Ja, ist dann halt so.
Ja, ich war am Orgastreik beteiligt. Meine Stellungnahme dazu könnt ihr in meinem Blog lesen [2]. Ich habe das allerdings in der Folgezeit mit vielen Leuten diskutiert und bin mir der Kritik sehr wohl bewusst. Aus heutiger Sicht würde ich es so nicht noch einmal machen.
Viele Grüße,
Mark
[0] http://pastebin.com/raw.php?i=42a2tyhs
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Progressivismus
[2] http://hariolor.blogger.de/stories/2377743/
Im Grunde sehe ich die #pplattform tatsächlich als einen möglichen Schutzraum. Die Kommunikation innerhalb der Partei auf Twitter und MLs ist im letzten halben Jahr ziemlich weit eskaliert. Die Beziehungsebene, Emotionen, persönliche Befindlichkeiten spielten eine größere Rolle als das, was tatsächlich gesagt wurde. Eine extrem Linke oder auch ein als bürgerlich Verschriehener hätten wahrscheinlich "1 + 1 = 2" schreiben können und es wäre negativ ausgelegt worden. Beide Seiten schenken sich da nichts, auch wenn es vielleicht nur 5% der Leser sind, die stets reingrätschen und noch mal 5%, die aus dem Kontext gerissene Aussagen interpretieren. Die 140-Zeichen-Grenze auf Twitter lädt ja geradezu dazu ein.
Ein Raum, in dem man innerhalb der eigenen Gruppe störungsfrei kommunizieren kann, kann dabei - in meinen Augen - durchaus hilfreich sein. Meine Vorstellung war, dass sich eine politische Strömung in einem Raum trifft, um konstruktiv eigene Vorstellungen zu entwickeln, die sie anschließend in die Partei tragen kann. Dabei ist für mich völlig unerheblich, wer genau an der Formulierung dieser Positionen beteiligt ist. Diese Diskussion "Extremist" hin oder her sollte aufhören. Das war meine Hoffnung und meine Erwartung an die #pplattform.
Nachdem aber nun das Aufnahmepad der #pplattform [0] geleakt ist, fühlte ich mich gedrängt, dazu ein paar Gedanken zu äußern.
Zwei Gründe werden dort relativ häufig als Begründung für ein Veto genannt. Den einen fasse ich mal mit "schlechten Umgangsformen" zusammen. Das trifft Menschen, die sich online verbal-aggressiv geäußert haben oder schlicht nicht besonders teamfähig sind - zumindest scheint das aus den Veto-Begründungen hervorzugehen. Da ich diese Menschen nicht alle kenne, kann ich das nur in Einzelfällen beurteilen. Und da scheint es oft zutreffend, so ungern die Betroffenen das auch hören mögen. Ganz ehrlich: Wenn ich eine geschlossene Diskussionsplattform ins Leben riefe, dann würde ich auch versuchen, Menschen außen vor zu halten, von denen ich erwarte, dass sie meine Arbeit stören. Das hat einfach etwas damit zu tun, arbeitsfähig zu bleiben. Es ist eine geschlossene Gruppe, die sich durchaus aussuchen darf, mit wem sie zusammenarbeiten möchte und mit wem nicht. Man mag die Geschlossenheit an sich kritisieren (durchaus piratig). Aber aus Sicht der #pplattform gibt es meiner Meinung nach legitime Gründe, sich abzuschotten.
Dass dabei häufig persönliche Befindlichkeiten eine Rolle spielen, ist menschlich - in der gezeigten Form aber trotzdem äußerst unglücklich. Denn das ist genau der "Nasenfaktor", dieses "Ich kann sie/ihn nicht leiden, weil..." , das doch eigentlich gar keine Rolle spielen sollte. Dass der Aufnahmeprozess, so wie er gestaltet (und dann geleakt) wurde, das gefühlte und teilweise auch kommunizierte "Wir sind besser" ad absurdum führt, war für mich keine Überraschung. Ich kann nur hoffen, dass die #pplattform daraus ihre Lehren zieht und zumindest versucht, einen Aufnahmeprozess zu implementieren, der so weit als möglich objektiv ist.
Der zweite häufig genannte Grund ist allerdings interessanter. Es ist auch der, der mich zu diesem Blogpost bewegt: "XYZ ist nicht progressiv". Das reichte - wenn ich das geleakte Pad lese - oft als Begründung und wurde auch nicht weiter hinterfragt.
Da stellt sich mir zunächst einmal die Frage: Was ist progressiv?
Dazu sagt die Wikipedia:
"Progressivismus (engl. progress von lat. progressio, onis, f.: Fortschritt) bezeichnet eine politische Philosophie, die auf dem Gedanken des Fortschritts in den Bereichen Wissenschaft, Technologie, wirtschaftliche Entwicklung und Organisation aufgebaut ist. Den Ursprung nahm der Progressivismus in der Ära der Aufklärung, dass man durch Entwicklungen Fortschritt in den Bereichen der Zivilisation erreichen könne."[1].
Ok. Das nimmt Bezug auf das 18. Jahrhundert und dürfte somit nur sehr eingeschränkt relevant sein. Was also ist progressiv innerhalb der Piratenpartei?
Was ich - auch von progressiven Piraten - so höre: weite Teile unseres Parteiprogramms. Toll! Worum streiten wir uns eigentlich? Wenn man genauer nachfragt, hört man - je nachdem, wen man fragt - unterschiedlichste Definitionen.
Aufgrund meines Werdegangs (seit Anfang des Jahrtausends Mitglied des CCC und natürlich auch dadurch geprägt) waren mir die "Kernthemen" immer schon wichtig. In diesen Themen kenne ich mich auch einigermaßen gut aus und halte regelmäßig Vorträge - auch außerhalb der Piratenschaft. Möglicherweise gelte ich deswegen - so die Vetogründe - nicht als progressiv. Mmh. Schade. Ich dachte ja immer, ich sei einigermaßen fortschrittlich.
Ich habe mal versucht, das Label "progressiv" zu durchdenken und kam auf folgende Themen:
- Antifaschismus
- Feminismus
- Queer/Gender
- Online-Abstimmungen (Liquid / SMV)
- Gesellschaftliche Teilhabe / Reform des Sozialsystems (BGE)
Antifaschismus:
Ich beteilige mich in Chemnitz an Naziblockaden. ich arbeite in der Orga von "Bündnis Nazifrei" mit. Wir (als KV) stellen dem Bündnis Piratenmaterial zur Verfügung. Wir (als
KV) beteiligen uns an Anti-Rassismus-Demos.
Feminismus:
Natürlich trete ich dafür ein, dass Frauen dieselben Rechte und Chancen haben wie Männer. Das Extremste, was man gegen mich sagen mag: Ich mag gegenderte Sprache nicht. Ich toleriere sie, aber ich verwende sie nicht selbst. Weil ich an ihre Wirksamkeit nicht glaube. Als selbst Schreibender.
Queer/Gender:
Ich war aktiv am CSD beteiligt. Der KV Chemnitz (mit mir als Vorsitzendem) hat gerade einen Raum seiner Geschäftsstelle an den LSVD abgetreten.
Online-Abstimmungen:
Ich war zwar nie besonders aktiv im LF, aber immerhin aktiv. Außerdem habe ich mir persönlich auf die Fahnen geschrieben, die SMV in Sachsen zumindest technisch lauffähig zu kriegen. Daran arbeite ich gerade.
Wenn das nicht ausreicht, mich als "progressiv" zu akzeptieren, dann halt nicht.
Ja, ich unterstütze Sekor. Er war die einzige für mich wählbare Person als 1V auf dem aBPT. Dazu stehe ich. Ich habe das auch begründet und mit Einzelnen hitzige Diskussionen darüber geführt. Wenn das das Ausschlusskriterium ist: Ja, ist dann halt so.
Ja, ich war am Orgastreik beteiligt. Meine Stellungnahme dazu könnt ihr in meinem Blog lesen [2]. Ich habe das allerdings in der Folgezeit mit vielen Leuten diskutiert und bin mir der Kritik sehr wohl bewusst. Aus heutiger Sicht würde ich es so nicht noch einmal machen.
Viele Grüße,
Mark
[0] http://pastebin.com/raw.php?i=42a2tyhs
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Progressivismus
[2] http://hariolor.blogger.de/stories/2377743/
... comment
eisenschild,
Freitag, 25. Juli 2014, 22:53
Progressivität
Danke für den Beitrag, der ganz gut auch meine Gefühlslage widerspiegelt.
Mein Eindruck bisher ist, dass die Selbstsicht der Progressivität vor allem geprägt ist von einem pressing der Themen. Also Akzeptanz oder relativ positive Einstellung zu einem Thema reichen nicht. Die Plattform will Impulse setzen, will abliefern und nehmen deshalb nicht nur jene nicht mit auf diese Reise, die nur stören, sondern auch jene die einfach nur zugucken ohne selbst mit anzupacken.
Ist natürlich eine Möglichkeit. Es zeichnet sich ein Spannungsfeld zwischen der internen Arbeitsfähigkeit und den dadurch selbst aufgebauten Kommunikationshürden durch die forcierte Isolation der Gruppe ab. Um die Ergebnisse der internen Arbeiten dann aber als Debattenbeitrag in die Partei zurück zu tragen, bedarf es eines guten Konzeptes, dass ich bisher nicht erkennen kann. Über die Medienpräsenz prominenter Mitglieder ist das jedenfalls die denkbar schlechteste Variante.
Mein Eindruck bisher ist, dass die Selbstsicht der Progressivität vor allem geprägt ist von einem pressing der Themen. Also Akzeptanz oder relativ positive Einstellung zu einem Thema reichen nicht. Die Plattform will Impulse setzen, will abliefern und nehmen deshalb nicht nur jene nicht mit auf diese Reise, die nur stören, sondern auch jene die einfach nur zugucken ohne selbst mit anzupacken.
Ist natürlich eine Möglichkeit. Es zeichnet sich ein Spannungsfeld zwischen der internen Arbeitsfähigkeit und den dadurch selbst aufgebauten Kommunikationshürden durch die forcierte Isolation der Gruppe ab. Um die Ergebnisse der internen Arbeiten dann aber als Debattenbeitrag in die Partei zurück zu tragen, bedarf es eines guten Konzeptes, dass ich bisher nicht erkennen kann. Über die Medienpräsenz prominenter Mitglieder ist das jedenfalls die denkbar schlechteste Variante.
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