Freitag, 27. Juni 2014
Das Geschäft des politischen Gegners
chriszwickler, 02:22h
Es ist noch nicht allzu lange her, da durfte sich die Piratenpartei angesichts zweistelliger Zustimmungsquoten Hoffnungen machen, auch in der Wählergunst den dritten Platz unter den deutschen Parteien zu erreichen. Neben den Themen, die andere Parteien schlicht verschlafen hatten, sprach die Menschen auch das unkonventionelle Auftreten der Piraten an, das mit nur wenig verbohrter Ideologie kam und von viel Sympathie begleitet wurde. Natürlich hat das vielen in den etablierten Parteien überhaupt nicht gepaßt. Auf die von der Piratenpartei mit guten Gründen besetzten Themen stürzten sich mehr schlecht als recht auch andere Parteien.
Dennoch wäre es aus Sicht der etablierten Parteien natürlich der Königsweg gewesen, wenn sie sich mit den von den Piraten besetzten Themen nicht auseinandersetzen müßten. Voraussetzung wäre freilich gewesen, daß der Attraktivitätsbonus der neuen Partei in ein Malus mutieren würde. Denn die politische Auseinandersetzung besteht eben nicht nur in der Auseinandersetzung um die eigentliche Politik. Es geht vielmehr auch um die Fähigkeit, sich selbst in der Öffentlichkeit gut und den Gegner schlecht darzustellen. Damit verdienen heute ganze Wirtschaftszweige richtig viel Geld. Es ist ein Geschäft, den anderen, den Konkurrenten schlecht aussehen zu lassen, um damit selbst zumindest relativ gut zu erscheinen. Das gilt auch für die Politik, hier für die Wettbewerber der Piratenpartei. Es ist das Geschäft des politischen Gegners, die Piratenpartei schlecht aussehen zu lassen.
Dieses Geschäft des politischen Gegners wird in der Piratenpartei von einigen gern selbst erledigt - mitunter angefeuert etwa von parteifremden Bloggern. Die Auseinandersetzung gilt nicht mehr der Politik, die eigentlich der Grund dafür war, sich politisch zu engagieren. Sie gilt vielmehr dem innerparteilichen Benehmen und einigen als falsch vermuteten Positionen. Zwar wird es regelmäßig als positiv konnotiert, wenn die Aufmerksamkeit nicht sich selbst, sondern dem Mitmenschen zufällt. Hier geht es jedoch zumeist darum, sich mehr den falsch gewählten Worten des Mitmenschen in tadelnder Weise anzunehmen, als die eigene Ausdrucksweise auch einmal mit einer kritischen Distanz zu beleuchten. Das Verhalten erinnert an Eltern, die ihre Kinder mit Prügel zur Gewaltlosigkeit erziehen möchten.
Daraus ergeben sich zwei Botschaften: Die eine ist, daß dieses Verhalten einiger weniger auf die gefühlte Politikfähigkeit nicht nur der ganzen Partei, sondern auch auf deren Mitglieder abfärbt. Wer wählt schon eine Partei, die zwar möglicherweise die richtigen Themen besetzt, die aber noch nicht einmal in der Lage ist, das eigene Haus in Ordnung zu bringen? Die andere damit einhergehende Botschaft ist eine eher unterbewußt wahrgenommene: Wenn es sich “die Piraten” schon leisten können, einen Großteil ihrer Energie dafür zu verwenden, um sich wegen unglücklicher Wortwahl, gekränkten Eitelkeiten und vielleicht auch einmal unsauber justierten politischen Positionen zu erregen, wie belanglos müssen dann die Themen sein, welche die Piratenpartei auf ihrer politischen Agenda vor sich her trägt? Wer es sich leisten kann, trotz dringenden Handlungsbedarfes in der Politik Stürme in Wassergläsern anzufachen, der relativiert und diskreditiert damit auch die von den Piraten besetzten politischen Themen.
Strategien
Natürlich ist es dem politisch denkenden Menschen oftmals eigen, mit seiner Meinung auch an die Öffentlichkeit zu gehen. Das macht das Wesen der westlich geprägten Vorstellung von Politik erst aus. Es ist gut und wichtig, eigene Auffassungen kundtun zu dürfen. Dazu bekennen sich alle Parteien, die auf dem Boden unserer Verfassung stehen.
Es ist zwar ein Unterschied, ob innerhalb dieser Meinungsfreiheit auch tatsächlich “lediglich” Meinungen insbesondere zur Politik verbreitet werden oder ob diese Freiheit auch dazu genutzt wird, andere unangemessen herabzuwürdigen. Das wäre sicherlich nicht im Sinne der Erfinder dieser Freiheit und wird von ihr genau genommen auch nicht gedeckt. Allerdings ist der Übergang von einer “qualifizierten” Bekundung der eigenen Meinung zur verächtlich machenden Aussage mit unterstellendem oder gar beleidigendem Charakter fließend. Und das ist sicherlich der Kern eines Problems, das nicht erst besteht, seit die Piratenpartei die Politik betreten hat.
Neben vielen weiteren Lösungsansätzen können sicherlich zwei Archetypen benannt werden, um diesem Problem zu begegnen: Eine Möglichkeit besteht darin, innerhalb eines Systems, hier einer politischen Partei, offene oder verdeckte Hierarchien zu installieren. Darin ist jedes Mitglied dieser Gemeinschaft zumindest informell verortet. Daraus ergeben sich Kompetenzen, die es ermöglichen, bestimmte Dinge überhaupt erst zu äußern und wenn ja, in welcher Form dies geschehen darf. Wer sich nicht daran hält, kann in dieser Hierarchie selbst nicht aufsteigen - Palastrevolutionen sind nach wie vor die große Ausnahme auch in der Politik - und wird daher eben kein Sprachrohr seines Systems, weswegen alle, also auch unangemessene Äußerungen diesem System kaum Schaden zufügen können. All dies scheint zwar auf den ersten Blick recht komplex zu sein. Diese Mechanismen existieren jedoch und die Außendarstellungen vieler Parteien belegen, daß diese trotz tatsächlich oft sehr großer innerparteilicher Differenzen im Sinne und zu Gunsten der öffentlichen Wahrnehmung funktionieren. Der notwendige Preis, der für diese äußerliche Ruhe gezahlt wird, besteht dabei in einer partiellen Aufgabe der eigenen Autonomie und nicht selten in Hinterhältigkeiten und latentem innerparteilichem Mißtrauen. Denn unter dem großen Mantel der Einigkeit gibt es selbstverständlich auch Kriege. Sie werden allerdings verdeckt geführt, weswegen oft niemand wissen kann, wer nun gerade wieder einmal was ausheckt oder sich mit wem verbündet etc.. Sehr zweifelhaft erscheint es jedoch, ob dieser Archetyp auch ausgerechnet in einer Partei installiert werden könnte, deren Selbstverständnis sich gerade daraus speist, daß dem Menschen unveräußerliche Freiheiten zustehen, die eben auch keiner Hierarchie geopfert werden dürften.
Ein anderer Archetyp, um den fließenden Übergang von Ausübung der Meinungsfreiheit und unangemessener persönlicher Herabwürdigung einzufangen, besteht darin, das der Selbstbestimmung immanente Spiegelbild der Selbstverantwortung auch zu leben. Dies ist sicherlich der Weg, der am meisten piratiges Selbstverständnis spiegelt und den auch viele in der Partei tatsächlich beschreiten: Jeder paßt zunächst einmal auf sich selbst auf. Leider scheint dieser Weg aber nicht immer die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu finden. Denn selbst wenn er von 99 Mitgliedern beschritten wird, fällt die Aufmerksamkeit dennoch oft dem einen zu, das den lauten und vor allem unangemessenen Pfad beschreitet. Mitunter wird behauptet, daß sich Mitglieder anderer Parteien auch öffentlich noch viel übler gegenseitig angehen würden, so sie denn gelassen würden. Diese Vermutung ergebe sich jedenfalls dann, wenn Gespräche im kleinen Kreis Wahrheiten aufzeigten.
Nach allem ist der zweitgenannte Archetyp sicher ein Modell, das dem Charakter und der Mitgliedschaft der Piratenpartei am nächsten kommt. Da es vermutlich nicht vollständig funktionieren würde, dürften Elemente des erstgenannten Archetyps eine sinnvolle Ergänzung darstellen: Diejenigen, die den Unterschied zwischen freier Meinungsäußerung und persönlich herabwürdigender Schmähung nicht verinnerlicht haben und leben, sollten zwar als Menschen völlig gleichberechtigt Anerkennung finden, schon weil sich dahinter mitunter auch defizitäre Persönlichkeitsentwicklungen verbergen. Es sollte aber auch zum Ausdruck kommen, daß solche unangemessenen Äußerungen kein Mittel des politischen Diskurses sein können, weswegen ihnen nicht mit Ernst begegnet werden dürfte. Dies müßte dann konsequenterweise unabhängig davon gelten, welchem inhaltlichen Ziel eine Aussage ursprünglich diente. Relevant wäre allein, welcher Form sich die oder der Aussagende bedient.
“Kurs der Partei”
Wie beschrieben liegt im Reiz der menschlichen Freiheit, Meinungen äußern zu dürfen, zugleich das Risiko der Übersteuerung. Zu diesem Manko kommen in allen Systemen, die aus mehr als einem Menschen bestehen, naturgemäß noch inhaltliche Differenzen hinzu. Je schlechter die Kommunikation inhaltlich im Ergebnis funktioniert, um so größer erscheinen diese Differenzen. Höhepunkte eines Kommunikationsmangels sind die Betonungen von unterschiedlichen Betrachtungsweisen, nicht von Gemeinsamkeiten. Wären etwa in der CDU vor sechzig Jahren stets die Unterschiede zwischen Protestanten und Katholiken zelebriert worden, so gäbe es diese Partei heute nicht mehr. Als zu unterschiedlich wurden damals die Positionen empfunden, welche die Konfessionen selbst noch im Bereich der Politik trennten. Die Fähigkeiten zur Kompromißbildung und zur Betonung gemeinsamer Werte galten als Schlüsselvoraussetzungen, um überhaupt erst die Möglichkeiten zu erlangen, genau diese Gemeinsamkeiten auch politisch mit Leben zu füllen.
Äußerungen wie etwa die, eine “Penisliste” nicht unterstützen zu wollen oder “#keinHandschlag” sind Ausdruck der Betonung von Unterschieden in der Partei. Sie stellen nicht das Gemeinsame heraus, weswegen eine Mitgliedschaft in aller Regel erst aufgenommen wurde. Ein solches Verhalten zeugt davon, nicht die Frage gestellt zu haben, was denn die Alternative zur als unerwünscht empfundenen Ausrichtung der Partei wäre - nämlich das sicherlich noch weniger erwünschte Erstarken der politischen Konkurrenz -, sondern die eigene Position kompromißlos zum alleinigen Maßstab erheben zu wollen. Würde dieses Vorgehen wiederum zum Maßstab, so könnte es bald mehrere tausend Parteien geben, die sich dann alle nur aus ehemaligen Mitgliedern der Piratenpartei speisen würden. Jede dieser Parteien für sich wäre aber schon arg klein.
Der sogenannte “Kurs der Partei” und die vermeintliche Gesinnung anderer Mitglieder wird von manchen gern in den Status einer Religion erhoben. Dabei wird übersehen, daß die Partei bereits einen “Kurs” hat. Wer sich damit identifiziert, ist in der Partei sicher gern gesehen. Wer sich damit nicht anfreunden möchte, wird vermutlich nicht gezwungen, der Piratenpartei treu zu bleiben. Wer allerdings der Auffassung ist, diesen “Kurs” allein mit Leben füllen zu dürfen und ihn weiter zu definieren, dem sei empfohlen, zuvor demokratische Voten einzuholen.
Wer wahrhafte Gegner des Faschismus jeder Ausprägung als “Nazis” bezeichnet, weil er die Deutungshoheit über die Methoden des Kampfes beansprucht, dem geht es schon gar nicht um den von allen getragenen “Kurs”, sondern allenfalls um ein Randthema, das nicht im Zentrum der Partei steht. Wer eine engagierte, aber mitunter ungeschickt auftretende Berliner Politikerin als “linksextrem” bezeichnet, weil sie in der Asylpolitik bestimmte höchst menschliche Ansätze vertritt, der verkennt, daß sich diese Positionen in ein vorgefertigtes Schema nicht einordnen lassen, schon weil etwa die katholische Kirche ganz ähnliche Vorstellungen hat.
Es dürften auch keine wirklich nachvollziehbaren Belege dafür bekannt sein, daß einzelne Gruppierungen innerhalb der Partei nachhaltig und über manch emotional verfaßten Kurzkommentar hinaus ernsthaft das Selbstverständnis der Partei in Frage stellen. Dennoch werden gern Verschwörungstheorien zelebriert, die unterstellen, daß es gezielte Bestrebungen gebe, das gemeinsame Fundament der Partei in Frage zu stellen. Mut und Angstfreiheit wurden der Piratenpartei einst nachgesagt. Etwas weniger Angst wäre auch an dieser Stelle sicher angezeigt.
Ehrenämter
Viele Mitglieder engagieren sich in der Partei ehrenamtlich. Manche Ortsverbände etablierter Großparteien träumen nur davon, auf solche Kraftfutterreservoirs zurückgreifen zu können. Finanzielles Minus wird in der Piratenpartei durch persönliches Plus kompensiert. Da ist es ganz menschlich, wenn manche “ihre” Partei auch in “ihrer” Art und Weise ausgeprägt sehen möchten, was oft wie ein “Lohn” für das Engagement gesehen wird. Das gilt natürlich wiederum für jeden, der sich unentgeltlich einbringt, mithin auch für die, die unterschiedliche Vorstellungen von der Partei haben. Auch hier ist es wieder das alte Spiel: Wird das Glas halb voll oder halb leer gesehen? Ist der andere ein Mitkämpfer um die gemeinsame Sache oder ein innerparteilicher Konkurrent, wenn es um die beste Ausrichtung der Partei geht? Konsens müßte aber zumindest sein, dem anderen nicht von vornherein “Bösartigkeit” zu unterstellen und zumindest das anzuerkennen, was im Sinne der Grundsätze der Partei geleistet wird.
Vorstand
In diesem Spannungsfeld erscheint es fast unmöglich, als Vorstand erfolgreich zu agieren. Zu groß und vor allem zu unterschiedlich besetzt sind die Erwartungen von lauten Teilen der Basis. Sie orientieren sich heute leider häufig nur noch an Details etwa hinsichtlich einer bestimmten Ausrichtung oder am als unpassend empfundenen persönlichem Auftreten. Das Augenmerk gilt nicht mehr wie in den Anfangstagen der Partei der zentralen Erwägung, warum die Parteimitgliedschaft überhaupt besteht. Die Mängel der großen Politik, die erst die Ursache für die Parteigründung waren, werden mitunter völlig ausgeblendet. Wer im Fernbleiben von Vorstandsmitgliedern an Treffen einen Austrittsgrund sucht, der muß sich fragen lassen, weshalb er der Partei eigentlich beigetreten war.
Selbstverständlich handelte die ansonsten gut und souverän agierende Versammlungsleitung in Bochum falsch, als sie Unmutsbekundungen wegen des Aufhängens einer parteifremden Fahne rhetorisch damit abtat, es könne ja ein Antrag auf Entfernung gestellt werden. Denn schon der gesunde Menschenverstand hätte es geboten, zunächst den Antrag stellen zu lassen, ob der Parteitag überhaupt zur Bühne parteifremder Symbolik werden sollte. Zu dieser Zeit war der Bundesvorsitzende nach seiner Eröffnungsrede übrigens schon nicht mehr anwesend, da seine Frau just da plötzlich schwer erkrankt war und ins Krankenhaus eingeliefert wurde, weshalb er sich auch um das Kleinkind kümmerte.
Doch was wurde aus diesem Vorgang gemacht? Einer Staatsaffäre gleich wurde dem Vorstand vorgeworfen, die Partei verraten zu haben. Das erfolgte mitunter von Mitgliedern, die ansonsten peinlich genau darauf bestehen, daß Parteitage im Prinzip keinen Vorstand, sondern allein eine Versammlungsleitung kennen. Und welcher Kritiker hat denn damals beispielsweise den zeitgleich erschienenen und viel beachteten Artikel des Bundesvorsitzenden im Handelsblatt zur Bestellung der neuen Bundesdatenschutzbeauftragten zur Kenntnis genommen, mit dem er die Piratenpartei auf hohem Niveau in der Öffentlichkeit repräsentierte?
Während die freie Welt Anfang 2014 dank Snowden schon anders gesehen wurde als noch Anfang 2013 ging es in der Piratenpartei regelmäßig vor allem um die Frage, ob der Zeitpunkt der Distanzierung des Bundesvorstandes von einer zwar nicht verbotenen, aber dennoch wahrhaft unangemessenen Aktion einer Kandidatin für das Europaparlament nicht zu spät gekommen war. Ohne den Blick auf die echte Politik zu werfen wurde überdies darüber gestritten, ob ein Vorstand bei politischer Distanzierung dennoch menschliche Solidarität bekunden dürfe, die übrigens in der Heimat der Übeltäterin selbst der politische Gegner gewährte. Und statt sich schließlich in der Partei mit der deutschen Gerichtsbarkeit zu beschäftigen, soweit es etwa um die politische Bestellung von Verfassungsrichtern und weisungsgebundenen Staatsanwälten geht, möchten einige lieber die deutsche Gerichtsbarkeit mit der Frage beschäftigen, wo und wann genau ein Parteitag stattfinden sollte.
Fazit
Angesichts solcher Vorgänge dürfte es keinem Vorstand gelingen, zur überwiegenden Zufriedenheit der Basis zu arbeiten. Es ist nur zu gut verständlich, wenn sich viele gute Leute, die der Partei auch neuen Schwung vermitteln würden, gegen diese Form der Mitarbeit entscheiden. Um so mehr Anerkennung sollten die finden, die sich trotz aller Widrigkeiten zur Verfügung stellen.
Dennoch wäre es aus Sicht der etablierten Parteien natürlich der Königsweg gewesen, wenn sie sich mit den von den Piraten besetzten Themen nicht auseinandersetzen müßten. Voraussetzung wäre freilich gewesen, daß der Attraktivitätsbonus der neuen Partei in ein Malus mutieren würde. Denn die politische Auseinandersetzung besteht eben nicht nur in der Auseinandersetzung um die eigentliche Politik. Es geht vielmehr auch um die Fähigkeit, sich selbst in der Öffentlichkeit gut und den Gegner schlecht darzustellen. Damit verdienen heute ganze Wirtschaftszweige richtig viel Geld. Es ist ein Geschäft, den anderen, den Konkurrenten schlecht aussehen zu lassen, um damit selbst zumindest relativ gut zu erscheinen. Das gilt auch für die Politik, hier für die Wettbewerber der Piratenpartei. Es ist das Geschäft des politischen Gegners, die Piratenpartei schlecht aussehen zu lassen.
Dieses Geschäft des politischen Gegners wird in der Piratenpartei von einigen gern selbst erledigt - mitunter angefeuert etwa von parteifremden Bloggern. Die Auseinandersetzung gilt nicht mehr der Politik, die eigentlich der Grund dafür war, sich politisch zu engagieren. Sie gilt vielmehr dem innerparteilichen Benehmen und einigen als falsch vermuteten Positionen. Zwar wird es regelmäßig als positiv konnotiert, wenn die Aufmerksamkeit nicht sich selbst, sondern dem Mitmenschen zufällt. Hier geht es jedoch zumeist darum, sich mehr den falsch gewählten Worten des Mitmenschen in tadelnder Weise anzunehmen, als die eigene Ausdrucksweise auch einmal mit einer kritischen Distanz zu beleuchten. Das Verhalten erinnert an Eltern, die ihre Kinder mit Prügel zur Gewaltlosigkeit erziehen möchten.
Daraus ergeben sich zwei Botschaften: Die eine ist, daß dieses Verhalten einiger weniger auf die gefühlte Politikfähigkeit nicht nur der ganzen Partei, sondern auch auf deren Mitglieder abfärbt. Wer wählt schon eine Partei, die zwar möglicherweise die richtigen Themen besetzt, die aber noch nicht einmal in der Lage ist, das eigene Haus in Ordnung zu bringen? Die andere damit einhergehende Botschaft ist eine eher unterbewußt wahrgenommene: Wenn es sich “die Piraten” schon leisten können, einen Großteil ihrer Energie dafür zu verwenden, um sich wegen unglücklicher Wortwahl, gekränkten Eitelkeiten und vielleicht auch einmal unsauber justierten politischen Positionen zu erregen, wie belanglos müssen dann die Themen sein, welche die Piratenpartei auf ihrer politischen Agenda vor sich her trägt? Wer es sich leisten kann, trotz dringenden Handlungsbedarfes in der Politik Stürme in Wassergläsern anzufachen, der relativiert und diskreditiert damit auch die von den Piraten besetzten politischen Themen.
Strategien
Natürlich ist es dem politisch denkenden Menschen oftmals eigen, mit seiner Meinung auch an die Öffentlichkeit zu gehen. Das macht das Wesen der westlich geprägten Vorstellung von Politik erst aus. Es ist gut und wichtig, eigene Auffassungen kundtun zu dürfen. Dazu bekennen sich alle Parteien, die auf dem Boden unserer Verfassung stehen.
Es ist zwar ein Unterschied, ob innerhalb dieser Meinungsfreiheit auch tatsächlich “lediglich” Meinungen insbesondere zur Politik verbreitet werden oder ob diese Freiheit auch dazu genutzt wird, andere unangemessen herabzuwürdigen. Das wäre sicherlich nicht im Sinne der Erfinder dieser Freiheit und wird von ihr genau genommen auch nicht gedeckt. Allerdings ist der Übergang von einer “qualifizierten” Bekundung der eigenen Meinung zur verächtlich machenden Aussage mit unterstellendem oder gar beleidigendem Charakter fließend. Und das ist sicherlich der Kern eines Problems, das nicht erst besteht, seit die Piratenpartei die Politik betreten hat.
Neben vielen weiteren Lösungsansätzen können sicherlich zwei Archetypen benannt werden, um diesem Problem zu begegnen: Eine Möglichkeit besteht darin, innerhalb eines Systems, hier einer politischen Partei, offene oder verdeckte Hierarchien zu installieren. Darin ist jedes Mitglied dieser Gemeinschaft zumindest informell verortet. Daraus ergeben sich Kompetenzen, die es ermöglichen, bestimmte Dinge überhaupt erst zu äußern und wenn ja, in welcher Form dies geschehen darf. Wer sich nicht daran hält, kann in dieser Hierarchie selbst nicht aufsteigen - Palastrevolutionen sind nach wie vor die große Ausnahme auch in der Politik - und wird daher eben kein Sprachrohr seines Systems, weswegen alle, also auch unangemessene Äußerungen diesem System kaum Schaden zufügen können. All dies scheint zwar auf den ersten Blick recht komplex zu sein. Diese Mechanismen existieren jedoch und die Außendarstellungen vieler Parteien belegen, daß diese trotz tatsächlich oft sehr großer innerparteilicher Differenzen im Sinne und zu Gunsten der öffentlichen Wahrnehmung funktionieren. Der notwendige Preis, der für diese äußerliche Ruhe gezahlt wird, besteht dabei in einer partiellen Aufgabe der eigenen Autonomie und nicht selten in Hinterhältigkeiten und latentem innerparteilichem Mißtrauen. Denn unter dem großen Mantel der Einigkeit gibt es selbstverständlich auch Kriege. Sie werden allerdings verdeckt geführt, weswegen oft niemand wissen kann, wer nun gerade wieder einmal was ausheckt oder sich mit wem verbündet etc.. Sehr zweifelhaft erscheint es jedoch, ob dieser Archetyp auch ausgerechnet in einer Partei installiert werden könnte, deren Selbstverständnis sich gerade daraus speist, daß dem Menschen unveräußerliche Freiheiten zustehen, die eben auch keiner Hierarchie geopfert werden dürften.
Ein anderer Archetyp, um den fließenden Übergang von Ausübung der Meinungsfreiheit und unangemessener persönlicher Herabwürdigung einzufangen, besteht darin, das der Selbstbestimmung immanente Spiegelbild der Selbstverantwortung auch zu leben. Dies ist sicherlich der Weg, der am meisten piratiges Selbstverständnis spiegelt und den auch viele in der Partei tatsächlich beschreiten: Jeder paßt zunächst einmal auf sich selbst auf. Leider scheint dieser Weg aber nicht immer die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu finden. Denn selbst wenn er von 99 Mitgliedern beschritten wird, fällt die Aufmerksamkeit dennoch oft dem einen zu, das den lauten und vor allem unangemessenen Pfad beschreitet. Mitunter wird behauptet, daß sich Mitglieder anderer Parteien auch öffentlich noch viel übler gegenseitig angehen würden, so sie denn gelassen würden. Diese Vermutung ergebe sich jedenfalls dann, wenn Gespräche im kleinen Kreis Wahrheiten aufzeigten.
Nach allem ist der zweitgenannte Archetyp sicher ein Modell, das dem Charakter und der Mitgliedschaft der Piratenpartei am nächsten kommt. Da es vermutlich nicht vollständig funktionieren würde, dürften Elemente des erstgenannten Archetyps eine sinnvolle Ergänzung darstellen: Diejenigen, die den Unterschied zwischen freier Meinungsäußerung und persönlich herabwürdigender Schmähung nicht verinnerlicht haben und leben, sollten zwar als Menschen völlig gleichberechtigt Anerkennung finden, schon weil sich dahinter mitunter auch defizitäre Persönlichkeitsentwicklungen verbergen. Es sollte aber auch zum Ausdruck kommen, daß solche unangemessenen Äußerungen kein Mittel des politischen Diskurses sein können, weswegen ihnen nicht mit Ernst begegnet werden dürfte. Dies müßte dann konsequenterweise unabhängig davon gelten, welchem inhaltlichen Ziel eine Aussage ursprünglich diente. Relevant wäre allein, welcher Form sich die oder der Aussagende bedient.
“Kurs der Partei”
Wie beschrieben liegt im Reiz der menschlichen Freiheit, Meinungen äußern zu dürfen, zugleich das Risiko der Übersteuerung. Zu diesem Manko kommen in allen Systemen, die aus mehr als einem Menschen bestehen, naturgemäß noch inhaltliche Differenzen hinzu. Je schlechter die Kommunikation inhaltlich im Ergebnis funktioniert, um so größer erscheinen diese Differenzen. Höhepunkte eines Kommunikationsmangels sind die Betonungen von unterschiedlichen Betrachtungsweisen, nicht von Gemeinsamkeiten. Wären etwa in der CDU vor sechzig Jahren stets die Unterschiede zwischen Protestanten und Katholiken zelebriert worden, so gäbe es diese Partei heute nicht mehr. Als zu unterschiedlich wurden damals die Positionen empfunden, welche die Konfessionen selbst noch im Bereich der Politik trennten. Die Fähigkeiten zur Kompromißbildung und zur Betonung gemeinsamer Werte galten als Schlüsselvoraussetzungen, um überhaupt erst die Möglichkeiten zu erlangen, genau diese Gemeinsamkeiten auch politisch mit Leben zu füllen.
Äußerungen wie etwa die, eine “Penisliste” nicht unterstützen zu wollen oder “#keinHandschlag” sind Ausdruck der Betonung von Unterschieden in der Partei. Sie stellen nicht das Gemeinsame heraus, weswegen eine Mitgliedschaft in aller Regel erst aufgenommen wurde. Ein solches Verhalten zeugt davon, nicht die Frage gestellt zu haben, was denn die Alternative zur als unerwünscht empfundenen Ausrichtung der Partei wäre - nämlich das sicherlich noch weniger erwünschte Erstarken der politischen Konkurrenz -, sondern die eigene Position kompromißlos zum alleinigen Maßstab erheben zu wollen. Würde dieses Vorgehen wiederum zum Maßstab, so könnte es bald mehrere tausend Parteien geben, die sich dann alle nur aus ehemaligen Mitgliedern der Piratenpartei speisen würden. Jede dieser Parteien für sich wäre aber schon arg klein.
Der sogenannte “Kurs der Partei” und die vermeintliche Gesinnung anderer Mitglieder wird von manchen gern in den Status einer Religion erhoben. Dabei wird übersehen, daß die Partei bereits einen “Kurs” hat. Wer sich damit identifiziert, ist in der Partei sicher gern gesehen. Wer sich damit nicht anfreunden möchte, wird vermutlich nicht gezwungen, der Piratenpartei treu zu bleiben. Wer allerdings der Auffassung ist, diesen “Kurs” allein mit Leben füllen zu dürfen und ihn weiter zu definieren, dem sei empfohlen, zuvor demokratische Voten einzuholen.
Wer wahrhafte Gegner des Faschismus jeder Ausprägung als “Nazis” bezeichnet, weil er die Deutungshoheit über die Methoden des Kampfes beansprucht, dem geht es schon gar nicht um den von allen getragenen “Kurs”, sondern allenfalls um ein Randthema, das nicht im Zentrum der Partei steht. Wer eine engagierte, aber mitunter ungeschickt auftretende Berliner Politikerin als “linksextrem” bezeichnet, weil sie in der Asylpolitik bestimmte höchst menschliche Ansätze vertritt, der verkennt, daß sich diese Positionen in ein vorgefertigtes Schema nicht einordnen lassen, schon weil etwa die katholische Kirche ganz ähnliche Vorstellungen hat.
Es dürften auch keine wirklich nachvollziehbaren Belege dafür bekannt sein, daß einzelne Gruppierungen innerhalb der Partei nachhaltig und über manch emotional verfaßten Kurzkommentar hinaus ernsthaft das Selbstverständnis der Partei in Frage stellen. Dennoch werden gern Verschwörungstheorien zelebriert, die unterstellen, daß es gezielte Bestrebungen gebe, das gemeinsame Fundament der Partei in Frage zu stellen. Mut und Angstfreiheit wurden der Piratenpartei einst nachgesagt. Etwas weniger Angst wäre auch an dieser Stelle sicher angezeigt.
Ehrenämter
Viele Mitglieder engagieren sich in der Partei ehrenamtlich. Manche Ortsverbände etablierter Großparteien träumen nur davon, auf solche Kraftfutterreservoirs zurückgreifen zu können. Finanzielles Minus wird in der Piratenpartei durch persönliches Plus kompensiert. Da ist es ganz menschlich, wenn manche “ihre” Partei auch in “ihrer” Art und Weise ausgeprägt sehen möchten, was oft wie ein “Lohn” für das Engagement gesehen wird. Das gilt natürlich wiederum für jeden, der sich unentgeltlich einbringt, mithin auch für die, die unterschiedliche Vorstellungen von der Partei haben. Auch hier ist es wieder das alte Spiel: Wird das Glas halb voll oder halb leer gesehen? Ist der andere ein Mitkämpfer um die gemeinsame Sache oder ein innerparteilicher Konkurrent, wenn es um die beste Ausrichtung der Partei geht? Konsens müßte aber zumindest sein, dem anderen nicht von vornherein “Bösartigkeit” zu unterstellen und zumindest das anzuerkennen, was im Sinne der Grundsätze der Partei geleistet wird.
Vorstand
In diesem Spannungsfeld erscheint es fast unmöglich, als Vorstand erfolgreich zu agieren. Zu groß und vor allem zu unterschiedlich besetzt sind die Erwartungen von lauten Teilen der Basis. Sie orientieren sich heute leider häufig nur noch an Details etwa hinsichtlich einer bestimmten Ausrichtung oder am als unpassend empfundenen persönlichem Auftreten. Das Augenmerk gilt nicht mehr wie in den Anfangstagen der Partei der zentralen Erwägung, warum die Parteimitgliedschaft überhaupt besteht. Die Mängel der großen Politik, die erst die Ursache für die Parteigründung waren, werden mitunter völlig ausgeblendet. Wer im Fernbleiben von Vorstandsmitgliedern an Treffen einen Austrittsgrund sucht, der muß sich fragen lassen, weshalb er der Partei eigentlich beigetreten war.
Selbstverständlich handelte die ansonsten gut und souverän agierende Versammlungsleitung in Bochum falsch, als sie Unmutsbekundungen wegen des Aufhängens einer parteifremden Fahne rhetorisch damit abtat, es könne ja ein Antrag auf Entfernung gestellt werden. Denn schon der gesunde Menschenverstand hätte es geboten, zunächst den Antrag stellen zu lassen, ob der Parteitag überhaupt zur Bühne parteifremder Symbolik werden sollte. Zu dieser Zeit war der Bundesvorsitzende nach seiner Eröffnungsrede übrigens schon nicht mehr anwesend, da seine Frau just da plötzlich schwer erkrankt war und ins Krankenhaus eingeliefert wurde, weshalb er sich auch um das Kleinkind kümmerte.
Doch was wurde aus diesem Vorgang gemacht? Einer Staatsaffäre gleich wurde dem Vorstand vorgeworfen, die Partei verraten zu haben. Das erfolgte mitunter von Mitgliedern, die ansonsten peinlich genau darauf bestehen, daß Parteitage im Prinzip keinen Vorstand, sondern allein eine Versammlungsleitung kennen. Und welcher Kritiker hat denn damals beispielsweise den zeitgleich erschienenen und viel beachteten Artikel des Bundesvorsitzenden im Handelsblatt zur Bestellung der neuen Bundesdatenschutzbeauftragten zur Kenntnis genommen, mit dem er die Piratenpartei auf hohem Niveau in der Öffentlichkeit repräsentierte?
Während die freie Welt Anfang 2014 dank Snowden schon anders gesehen wurde als noch Anfang 2013 ging es in der Piratenpartei regelmäßig vor allem um die Frage, ob der Zeitpunkt der Distanzierung des Bundesvorstandes von einer zwar nicht verbotenen, aber dennoch wahrhaft unangemessenen Aktion einer Kandidatin für das Europaparlament nicht zu spät gekommen war. Ohne den Blick auf die echte Politik zu werfen wurde überdies darüber gestritten, ob ein Vorstand bei politischer Distanzierung dennoch menschliche Solidarität bekunden dürfe, die übrigens in der Heimat der Übeltäterin selbst der politische Gegner gewährte. Und statt sich schließlich in der Partei mit der deutschen Gerichtsbarkeit zu beschäftigen, soweit es etwa um die politische Bestellung von Verfassungsrichtern und weisungsgebundenen Staatsanwälten geht, möchten einige lieber die deutsche Gerichtsbarkeit mit der Frage beschäftigen, wo und wann genau ein Parteitag stattfinden sollte.
Fazit
Angesichts solcher Vorgänge dürfte es keinem Vorstand gelingen, zur überwiegenden Zufriedenheit der Basis zu arbeiten. Es ist nur zu gut verständlich, wenn sich viele gute Leute, die der Partei auch neuen Schwung vermitteln würden, gegen diese Form der Mitarbeit entscheiden. Um so mehr Anerkennung sollten die finden, die sich trotz aller Widrigkeiten zur Verfügung stellen.
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