Mittwoch, 16. Januar 2013
Das Wahlverfahren bei der #BlaSN
Am 12. Januar wählten die sächsischen Piraten die Landesliste für die anstehende Bundestagswahl. Dass es den sächsichen Piraten mit diesem Verfahren gelang, in einer einzigen Wahlrunde erfolgreich 14 Listenplätze zu besetzen, fand unter den Piraten bundesweit Beachtung. Bei vergangenen Listenaufstellungen zu Landtags- oder Bundestagswahlen in anderen Bundesländern waren mehrfach etliche Wahlgänge nötig, um die Listen zu wählen.

Das Verfahren
In Sachsen verwendeten wir ein Zustimmungswahlverfahren (Approval) mit Wichtung. Das bedeutet: Jeder Wähler hat eine Nein- und eine Ja-Stimme, wobei die Ja-Stimme mit 0 bis 6 Wichtungspunkten versehen ist. Eine aktive Enthaltung sieht das Verfahren nicht vor, doch dazu weiter unten mehr.

So sahen die Stimmzettel aus:

Wahlzettel bei der #BlaSN

Die Auswertung erfolgt zweistufig: Es wird zunächst geprüft, welche Kandidaten das 50%-Quorum erfüllt haben, also welcher Kandidat auf mehr als der Hälfte der abgegebenen, gültigen Stimmzettel ein Ja erhält. Die Wichtungspunkte spielen hierfür noch keine Rolle. Diejenigen Kandidaten, die das 50%-Quorum erfüllen, sind auf der Liste.
In einem zweiten Schritt werden dann für die verbleibenden Kandidaten die Wichtungspunkte aufsummiert. Die Liste ergibt sich somit aus den Kandidaten, die das Quorum erfüllt haben in der Reihenfolge der für sie vergebenen Wichtungspunkte. Bei Punktegleichstand erfolgt eine Stichwahl unter diesen Kandidaten. Für den Fall, dass bei einer Stichwahl erneut gleich viele Stimmen vergeben werden, entscheidet das Los.

Ein paar Hintergründe zu den Ideen, von denen wir uns beim Entwurf des Wahlverfahrens leiten ließen:

(1) Der Sinn der Wichtung
Wir (d. h. die Gruppe von Piraten innerhalb der AG Wahlen Sachsen, die das Verfahren entwickelten) waren uns der Tatsache bewusst, dass viele Menschen de facto taktisch wählen, also ihren Favoriten eine Stimme geben und den restlichen Kandidaten nicht. Bei einem herkömmlichen Approval ohne Wichtung führt das oft dazu, dass in einem Wahlgang nur wenige Leute das geforderte Quorum überschreiten. Um bei einer Listenwahl eine bestimmte Anzahl an Kandidaten zu wählen, sind daher i. d. R. mehrere Wahlgänge erforderlich, was das Verfahren in die Länge zieht. Genau das war ja in mehreren Fällen bei Listenaufstellungen der Piraten schon zu beobachten. Daher schlug Manfred Stöckert, der die ursprüngliche Idee zu dem jetzt verwendeten Verfahren hatte, die Einführung der Wichtung vor.
Dadurch wird es möglich, taktisch zu wählen: Nur diejenigen Kandidaten, die man auf keinen Fall auf der Liste sehen will erhalten ein "Nein". Einem Kandidaten, der nicht zum engeren Favoritenkreis gehört, den man aber auch nicht absolut ablehnt, kann man eine Ja-Stimme mit 0 Punkten geben. Das Quorum wird durch ein solches Votum nicht "beschädigt"; den Wählerwillen drückt man über die vergebene Punktzahl aus.

(2) Die Spreizung der Wichtungspunkte
Die Spreizung der Wichtungspunkte macht es weniger wahrscheinlich, dass zwei Kandidaten nach der Wahl gleiche Punktzahlen haben und eine Stichwahl nötig wird. Außerdem stehen dem Wähler damit mehr Bewertungsstufen zur Verfügung als das binäre Ja/Nein bei einer reinen Zustimmungswahl. Es hat sich allerdings gezeigt, dass die Wähler überdurchschnittlich oft 0, 3 oder 6 Punkte vergeben. Man hätte also mit einem Verfahren, das nur eine Spreizung von 0 bis 3 Wichtungspunkten vorsieht, wahrscheinlich fast das gleiche Ergebnis erzielt. Gleichzeitig verringert eine etwas geringere Spreizung auch die Gefahr einer "Übernahme", wie sie weiter unten geschildert wird.

(3) Keine aktive Enthaltung
Eine Enthaltung ist eine verdeckte Nein-Stimme. Zur Erfüllung des Quorums sind >50% Zustimmung gefordert. Eine Enthaltung wirkte sich also genauso wie ein direktes Nein negativ für den Kandidaten aus. Da wir davon ausgingen, dass das nicht jedem Wähler bewusst ist, wollten wir in unserem Verfahren mehr Klarheit schaffen. Das unten stehende Bild verdeutlicht die Gleichsetzung von Nein-Stimmen und Enthaltungen noch einmal: 30 Nein-Stimmen und 30 Enthaltungen ergeben zusammen 60%. Der Kandidat hat mit 40 Ja-Stimmen das Quorum von 50 Stimmen verfehlt.



Das Verfahren wurde im Vorfeld unserer AV heftig diskutiert; ich persönlich erhielt mehrere Anrufe, die mich davor warnten, es einzusetzen - was nicht ging, da es bei uns in der Satzung steht und schon im September auf einem LPT verabschiedet worden war.
Um Irritationen zu vermeiden, ist es notwendig, das Wahlverfahren rechtzeitig vorzustellen und zu diskutieren. Es empfiehlt sich auch, es unmittelbar vor einer Wahl noch einmal sorgfältig zu erklären. Man kann es dann auch auf die kurze Formel bringen In jeder Zeile genau ein Kreuz!


Nachteile des Verfahrens
Das Verfahren hat allerdings auch Nachteile, die ich nicht verschweigen möchte:

(1) Die Auswertung ist - nicht zuletzt aufgrund der großen Spreizung der Wichtungspunkte - komplexer und vor allem langwieriger als bei anderen Verfahren. Bei der #BlaSN hat das Wahlleiterteam bei 24 Kandidaten und 153 Abstimmenden zur sorgfältigen Auswertung mehrere Stunden gebraucht.

(2) Das Verfahren birgt das Risiko einer Übernahme durch eine entschlossene Wählergruppe. Andreas Romeyke hat das in einem Blogbeitrag ausführlich erläutert. Ich möchte es ebenfalls durch ein kurzes Beispiel verdeutlichen:
Gehen wir von 120 Stimmberechtigten aus. Wenn 40 davon das Verfahren "übertaktisch" anwenden, indem sie einem Kandidaten A 6 Punkte geben und allen anderen Kandidaten ein Nein, dann passiert folgendes. Kandidat A erhält von der Gruppe entschlossener Wähler 6 * 40, also 240 Stimmen.
Wenn wir nun weiterhin annehmen, dass die restlichen 80 Wähler in einem statistischen Mittel wählen, dann erhält jeder Kandidat im Schnitt 3 Punkte von
einem Wähler dieser Gruppe. Das macht 3 * 80, also 240 Punkte für jeden Kandidaten. Damit hätte Kandidat A 480 Punkte, während alle anderen Kandidaten nur 240 Punkte erhalten. Die entschlossene Wählergruppe hätte das verfahren also zu ihren Gunsten ausgenutzt.
Am besten kann man unliebsamen Überraschungen begegnen, indem man möglichst viele Abstimmende auf einer Versammlung zusammenbringt, da es dann für eine einzelne Gruppe schwerer wird, das Ergebnis zu beeinflussen.

Anders gesagt: Das mit der Schwarmintelligenz funktioniert am besten, wenn der Schwarm auch da ist.


(Anmerkung zur Kommentarfunktion: Man kann bei blogger.de nur kommentieren, wenn man sich dort registriert. Ist leider so und ich kann das auch nicht ändern. Wenn ihr das nicht wollt, aber trotzdem kommentieren möchtet oder Fragen habt, schickt mir das per Mail an neismark{ätt}piraten-sachsen{punkt}de, ich veröffentliche es dann als Update an dieser Stelle.)

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